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Ein Interview mit dem Aktionisten Hans Bernhard von ubermorgen.com
Nitewalkz: Kannst du dich und voteauction.com kurz vorstellen?
Hans Bernhard: Ich bin von der Gruppe ubermorgen und Gründungsmitglied von etoy.com. Ich betreibe Media Hacking oder wie ich es nenne Medienaktionismus seit ca. 10 Jahren. Voteauction begann im Jahr 2000 und wurde von einem amerikanischen Studenten namens James Baumgartner, als Teil seiner Diplomarbeit, initiiert. Er schuf eine Plattform auf der amerikanische Wähler Ihre Stimme zum Verkauf anbieten konnten. Am Stichtag der Wahl Bush vs. Gore, dem 7.November 2000, sollten diese Wahlstimmen in einer Auktion verkauft werden. Diese Idee ist sehr schnell eingeschlagen, so dass das New York Election Comitee (Board of Elections) und das FBI sich einschalteten und Baumgartner kontaktiert und ihn unter Druck gesetzt haben. RTMark vermittelten James Baumgartner zu uns und ubermorgen.com übernahm das Projekt. Wir haben die Site auf unserem Server gehostet und nicht weiter beachtet, bis das Ganze richtig geile Momente bekommen hat. Wired hat über das Projekt einen Artikel gemacht, das FBI hat angefangen nachzuforschen und es gab eine Klage in Chicago. James musste sich daraufhin zurückziehen, da zuviel Druck auf ihn ausgeübt wurde. Und da haben wir perversen Europäer das Projekt ganz übernommen und es über die Grenzen des Erträglichen hinaus gepusht. Innerhalb der USA wäre dies nicht möglich gewesen, aber es gibt keine internationalen Gesetze und in Europa ist es nicht illegal amerikanische Wählerstimmen zum Kauf anzubieten. Wir haben Klageandrohungen von 14 Bundesstaaten gehabt, vier Staaten haben Klagen eingereicht, das FBI hat untersucht, NSA hat untersucht, CIA war involviert, Janet Reno war involviert und ein internationale Pressewelle ist angelaufen. Wir haben über 2.500 News-Features (Radio, TV, Zeitungen, Magazine) in aller Welt gezählt: Ein globales Phänomen.
Nitewalkz: Wie ist es überhaupt möglich für einen Bürger der USA seine Stimme zu verkaufen?
Hans Bernhard: Wir offerierten dem amerikanischen Bürger eine Webmaske in die er seine persönlichen Daten eintragen und uns seine Stimme zum Verkauf anbieten konnte. Da wir aber so massiv unter Druck standen und es hochillegal für einen amerikanischen Bürger ist seine Stimme auch nur zum Verkauf anzubieten, mussten wir diese Leute schützen. Also sind die Daten der Webmaske nicht einmal abgespeichert worden. Diese Daten sind sofort ins digitalen Nirvana gewandert: Vaporized... Das Ganze war im Endeffekt ein absolut lächerliches Spiel mit ein paar Pixeln, die wir auf dem Screen arrangiert haben, so dass es so aussah als ob jemand Wahlstimmen An- und Verkaufen würde. Wenn man sich auch nur minimal mit einem Auktionshaus wie z.B. eBay auseinandergesetzt und die Software verglichen hätte, hätte man sofort erkannt dass voteauction.com ein Fake ist. Die Behörden haben aber Millionen von Dollar in gerichtliche Untersuchungen investiert und haben uns täglich per DHL und UPS bündelweise Dokumente zugeschickt, in denen sie versucht haben unsere Website zu analysieren und juristisch aufzuarbeiten. Tausende von Juristenstunden, weil sie nicht wussten mit wem sie es zu tun hatten. Das wussten wir allerdings auch nicht. Wenn man mit der NSA, dem FBI oder der CIA zu tun hat, weiß man nicht was das für ein Gegner ist. Sie dachten wir seien eine perverse osteuropäische Firma, die den Wahlmarkt in den USA als zukünftiges Geschäftsfeld sieht. Unser Hauptslogan war ja auch: Bringing Capitalism And Democracy Closer Together!
Nitewalkz: Ist das Subversive Affirmation? Der Claim “Bringing Capitalism And Democracy Closer Together” weist ja daraufhin, dass Demokratie nicht unbedingt so funktioniert wie sie funktionieren sollte.
Hans Bernhard: Das war uns nie ein Anliegen. Möglicherweise hatte James Baumgartner eine politische Motivation bei dieser Aktion. Für lizvlx (Co-Autorin) und mich ist es wichtig, dass wir absolut ideologiefrei und unpolitisch agieren. Für uns sind das Experimentierfelder oder Forschungsszenarien in denen wir uns bewegen. Wenn wir mit politischen Intentionen an so etwas herangehen würden, hätten wir ein Problem. Dann könnten wir nicht frei agieren. Mir ist Demokratie in dem Sinne scheißegal. Mich interessiert, was passiert wenn ich Kapitalismus mit Demokratie kreuze. Das amerikanische Wahlsystem ist eins der perversten das mir je untergekommen ist. Das ist interessant, dort reinzujumpen und sich das aus der Nähe anzuschauen. Das extremste an voteauction war, während 3 ½ Monaten 30 Interviews am Tag zu geben und in einer totalen Kommunikationssituation drinzustecken, in der Information konstant durch dich durchfließt. Wir waren wie SpinDoctors: Wir haben Informationen konstant manipuliert, die sind durch uns durchgegangen, die Informationen sind in gemorphter Form wieder zu uns zurückgekommen und wir haben sie wieder aufgenommen und wieder umgewandelt. Das Ganze hat sich immer mehr beschleunigt und die Behörden sind immer radikaler geworden. Sie haben uns zweimal die Domain gesperrt. Und wir haben neue Domains angemeldet. Forschung im lebendigen Organismus der globalen Kommunikation.
Der Höhepunkt der Aktion war ein 30minütiges CNN-Feature "Burden Of Proof" bei dem sieben Anwälte und zwei Techniker über Videokonferenz, ich über Telefon und Politiker und Journalisten im Studio waren. Das Premium-Produkt von voteauction. Dieses Event haben wir in den folgenden vier Jahren in Ausstellungen, Museen und Galerien in Skulpturen, Prints und Videos versucht zu rekontextualisieren.
Nitewalkz: Was glaubst du wollten die Behörden die hinter euch her waren schützen? Was stand für sie auf dem Spiel?
Hans Bernhard: Auf dem Spiel stand die Integrität des Wahlprozesses. Dadurch dass die Behörden nicht wußten, mit wem sie es zu tun hatten, wußten sie auch nicht wieweit wir in den Wahlprozess eingreifen können. Wieviel Stimmen wir wirklich kaufen und verkaufen. Waren es 10.000 oder 100.000? Bei 100.000 hätte es zu einer Anfechtung des Wahlprozesses in einzelnen Bundesstaaten kommen können. D.h. man hätte die Wahl vor Gericht anfechten und für ungültig erklären können. Ich habe erst im Nachhinein verstanden wie fragil das amerikanische Gefüge ist. Das Problem der Amerikaner ist, dass sie ohne Präsident eine total instabile Macht sind. D.h. sie müßen eine Wahl durchführen und die Wahl muß ein Resultat haben. Die Behörden haben Panik gekriegt, weil sie befürchteten das die Wahl angefochten werden könnte.
Nitewalkz: Dein neues Projekt heißt „Google Will Eat Itself“. Was hat es damit auf sich?
Hans Bernhard: GWEI ist eine Coproduktion von ubermorgen.com und neural.it, also mir und Alessandro Ludovico. GWEI funktioniert eigentlich ganz einfach: Wir haben eine Showcase-Website gwei.org und wir haben versteckt Websites auf denen Google-Text-Advertisements laufen, das sind so kleine Google-Werbungen mit denen man Geld verdienen kann. Jedes mal wenn jemand auf eine Adsense klickt oder unsere Engine automatisch diese Werbungen abklickt, verdienen wir Geld. Dieses Geld kommt auf ein Schweizer Bankkonto und wir kaufen anschließend Google-Aktien damit. Und schließen damit den Kreis: Google Will Eat Itself!
Der Witz: Am Schluß gehört Google der Web-Community. Über ein Programm namens GTTP (Google To The People) werden die Google Aktien nämlich über eine Firma, die GTTP Limited, einer Shareholder-Company, die viel mehr Aktien hat als wir Google-Aktien besitzen, an die Community verteilt.
Nitewalkz: Google erscheint vielen nach außen als nettes, freundliches, ja fast schon hippieskes Unternehmen. Wie würdest du Google charakterisieren?
Hans Bernhard: Google selber hat schon so eine superaffirmative, lebensfreundliche Serviceeinstellung. Google kauft sich mit einem Lachen im Gesicht alles auf was gefällt und integiert es total positiv in die Firma und entwickelt es noch weiter. Und jeder freut sich darüber. Das ist die eine Seite. Google hat einen unglaublichen Umsatz und macht schätzungweise 3-4 Mrd. Dollar Umsatz oder 500 Millionen Dollar Gewinn im Jahr mit Werbung auf der Website und Adsens-Anzeigen. Google stellt mittlerweile 100 Milliarden US-$ Marktbewertung dar. Google ist mehr wert als alle Schweizer Banken zusammen oder Time Warner oder General Motors. Und hat noch Potential. Die Aktie ist von 80 auf 408 US$ gestiegen und könnte bei gleichbleibender Entwicklung locker rauf auf 700-800 US$ gehen.
Nitewalkz: Weiß Google von eurer Aktion?
Hans Bernhard: Ja, Google hat uns zum Teil schon abgedreht. Wir haben eine öffentliche Showcase-Website auf der ein Web-Advertisement- und e-Marketing-Magazin gefaket wird. Irgendwelche blöden e-Marketing-News. Die Site braucht man, damit man in dieses Advertisement-Programm überhaupt reinkommt. Wir haben so eine selbstreferentielles Modell gebaut, wo es nur um Google-Suchmaschinensysteme und Hacks und so was geht. Dann gibt es die versteckten Websites von denen niemand was mitkriegt. Wenn du eine unsere Websites besuchst, löst du ohne es zu merken eine Engine aus, die Klicks generiert. Das Problem war aber, dass ein einflussreicher Blog namens guerilla-innovation.com über die Aktion geschrieben hat. Dann stand es in ca. 200 Blogs und die Leute sind auf die Showcase-Website gestürzt und haben unsere Zahlen beim Google-Account total verfälscht. Es gibt pro Seitenaufruf einen gewissen Prozentsatz von Klicks der realistisch ist. Es ist z.B. nicht logisch dass jemand einmal eine Seite anschaut und sofort auf ein Banner klickt. Bei uns ist das aber passiert und Google hat uns abgedreht. Aber nur die Showcase-Website. Und Google ist sehr freundlich. Auch wenn die dich abdrehen machen sie es mit einem Lächeln im Gesicht.
Nitewalkz: Wir würdest du dass nennen was du tust?
Hans Bernhard: Ich haße den Begriff „Culture Jamming“, weil darunter kann man alles verstehen, ich hasse den Begriff „Aktivismus“, weil der so politisch gefärbt ist, ich finde den Begriff „Hacktivism“ total beschissen. Ich kann für mich selber nur den Begriff „Aktionismus“ akzeptieren. Der trifft genau die Art von Aktion und Kunst im Kontext der Kunstgeschichte, die ich repräsentiere. Aktionismus hat zwar einen politischen Kontext in der Geschichte, aber die Leute, die das gemacht haben, waren eher LSD-mäßig drauf und wir sind das auch. Die meisten Straßenkünstler sind viel zu stur und vertreten einen groben und schlechtgemachten Aktivismus.
Nitewalkz: Ist diese Art von Kunst im Museum richtig aufgehoben?
Hans Bernhard: Ja, natürlich. Die Arbeiten finden in erster Linie im öffentlichen Raum (Nikeground von 01.org oder Naziline mit Schlingensief) oder in den Massenmedien statt. Danach wollen wir die Arbeiten transformieren in einen „White Cube“ wie das Lentos Kunstmuseum in Linz. Uns interessiert dieser Transformationsprozess. Wie läßt sich welche Information verdichten, manipulieren, transformieren, wie kann man es zerschneiden, wiederaufbereiten, ästhetisieren, formalisieren und dann in den „White Cube“ einbringen. Das soll ja nachher neben Werken von Rehberger und Duchamp, den Vertretern der Fine Art, bestehen. Nicht zuletzt
gewährleistet es ja auch unser täglich Brot.
Nitewalkz: Verrät eine Ausstellung über "Culture Jamming" nicht die Bewegung?
Hans Bernhard: Nein, auf keinen Fall. Die meisten Menschen sind saublöd und denken drei Minute in die Vergangenheit und Zukunft und die, die nicht blöd sind, haben eine Intuition für solche Dinge. Denen machst du eh nichts vor. Als viel größeres Probelm sehe ich den Umstand, dass du immer als Systemrechtfertigungs- oder Systemoptimierungsperson operierst. Einerseits können bespielsweise Firmen sagen: "Schaut her, der kritisiert uns schon und deshalb müssen wir das nichts selbst machen, da ist eine ausgleichende Kraft bei der Arbeit und das System funktioniert." Viel Schlimmer ist noch die Systemoptimierung: Wir haben mit voteauction.org dazu beigetragen, das amerikanische Wahlsystem zu optimieren. Dagegen kannst du dich aber nicht wehren. Du musst lernen das zu akzeptieren, weil die Konsequenz wäre, dass man aufhört zu arbeiten.
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