Ein Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler und Politologen Dr. Paul Lafargue
Nitewalkz: Dr.Lafargue, wie stehen Sie zu der These das Werbeplakate eine Verschmutzung des öffentlichen Raums darstellen?

Dr. Lafargue: Prinzipiell verstehe ich Werbeplakate als Mittel zur Erregung von sinnlicher Begierde. Die sinnliche Begierde an sich ist eine Quelle des Leidens, des Hasses und des Unglücks. Das haben eigentlich alle Philosophen gewusst und gelehrt. Platon, Fourier oder Huxley, die Utopisten, sahen die Lösung darin, die sinnliche Begierde und das damit verbundene Leiden zu stillen, indem man deren unmittelbare Befriedigung organisiert. In unserer eros- und werbungsorientierten Gesellschaft ist es jedoch so, dass die sinnliche Begierde in unerhörtem Ausmaß gefördert wird, die Befriedigung dieser Bedürfnisse aber in die Privatsphäre geschoben wird. Diesen Aspekt halte ich bei Werbung generell für problematisch.


Nitewalkz: Was kann ein mündiger Konsument von Werbeplakaten gegen solche "visuellen Attacken" tun?

Dr. Lafargue: Umberto Eco fordert in seinem Essay „Für eine semiologische Guerilla“ eine Kommunikationsguerilla die von Haus zu Haus zieht und die Kritische Rezeption von Medieninhalten fördert. Dies würde bedeuten, dass die Rezipienten dazu angeleitet werden können, die Beeinflussung durch Werbetafeln „gegen den Strich“ zu bürsten und sich so der sublimen Wirkung zu entziehen. Also im Grunde das, was die Adbusters unsere Zeit auch tun. Nach Eco ist die Kontrolle über die Botschaft die ein Kanal transportiert ja nur eine Kontrolle der leeren Form, die der Empfänger mit Bedeutungen füllen kann. Ich bin mir nur nicht sicher ob Adbuster den Kanal kontrollieren oder die anschließende Rezeption.

Nitewalkz: Würden Sie sich für einen flächendeckenden symbolischen Krieg gegen die Werbeplakate aussprechen?

Dr. Lafargue: Das halte ich für gefährlich. Schon Eco hat in einem sehr viel späteren Essay „Die Fälschung und der Konsens“ vor „einem Projekt permanenter lokaler Störaktionen“ gewarnt. Störaktionen -wie die der Adbuster- können die Utopie der Revolution unterlaufen, da ein Minimalkonsens der Ehrlichkeit missachtet wird. Wenn niemand mehr weiß was gefälscht ist und was eine ungebrochene Aussage ist, sind die Überlebensbedingungen der Gesellschaft unterminiert. „In einer Welt voller Fälscher wird nicht die Macht zerstört, sondern höchstens ein Machthaber durch einen anderen ersetzt.“

Nitewalkz: Also sind Fälschungen kein probates Mittel für politische Einflußnahme?

Dr. Lafargue:Wir befinden uns bei den Kommunikationsguerilla oder Adbusters auf einem Feld, wo dauernd Fiktionen gesponnen werden. Zum Beispiel: Jemandes Identität annehmen, was beinhaltet dass man Informationen fälscht, und sich als jemand anderen ausgeben, mit dem Endziel, etwas über gewisse Leute offen zu legen. Am Ende weiß doch niemand mehr was eigentlich die Wahrheit war die man offenlegen wollte.

Nitewalkz: Sie waren bei der Demonstration der Front Deutscher Äpfel anwesend, die sich aus dem nationalsozialistische Zeichenvorrat bedienen, um auf den vorhandenen unterschwelligen Rassismus hinzuweisen, der in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussion vorhanden ist. Können solche Aktionen einen wichtigen Denkanstoß liefern?

Dr. Lafargue: Nun ja, die Deutung von Symbolen liegt ja immer in der Verantwortung des Empfängers. Bei dieser Art von subversiver Affirmation habe ich immer Angst das das Ganze beim Rezipienten genau das Gegenteil bewirkt. Sie deuten das Symbol „Apfel“ schon - wie intendiert - in Ausländer oder Arbeitslose/Obdachlose um, übernehmen aber unkritisch die hirnrissigen Forderungen. Eine entsprechende Einstellung muss beim Empfänger schon vorhanden sein, sonst geht die subversive Affirmation in die Hose. Ich frage mich auch, ob es es bei einer Demo wie die der FDÄ wirklich zu einem Moment der Verwirrung und des Bruchs beim Beobachter kommt oder inwieweit es vielleicht in erster Linie als der übliche Chaotenklamauk wahrgenommen wird, als den ihn die Mainstreammedien ja am Ende auch darstellen. Die Kraft der Kommunikationsguerilla liegt m.E. in erster Linie in der Besetzung von „seriösen“ Sprechpositionen. Ein Haufen offensichtlich aus dem alternativen Milieu stammender „Nazis“ erreicht dies vermutlich nicht.