Ein Interview mit dem Freien Kunstkritiker und Kuratoren Raimar Stange
Nitewalkz: Was waren Ihre Gründe die Ausstellung "Just Do It!" in Linz zu kuratieren?
Raimar Stange: Thomas Edlinger, Florian Waldvogel und ich haben die Ausstellung aus verschiedenen Gründen kuratiert. Uns hat vor allem interessiert wie so eine Geschichte wie „Culture Jamming“, die ja im Moment wieder als agitatorische Strategie von u.a. Globalisierungsgegnern bekannt ist, aber schon seit langem auch in der Kunst verwendet wird, sich entwickelt hat. Unser ältestes Beispiel von „Culture Jamming“ ist Marcel Duchamps "Mona Lisa", wo er der Gioconda ein Spitzbärtchen aufgemalt und drunter auf Französisch "Sie hat einen heißen Arsch" (LHOOQ: Elle a chaud au qul) geschrieben hat. Das ist - wenn man so will - politisches „Jamming“, es geht darum die bürgerliche Ikone von Malerei in ihrem semantischen Gehalt zu verändern. Außerdem sagt uns Duchamp mit diesem „Jam“, streng nach der Definition von Naomi Klein, das ein gutes Jamming die "tiefere Wahrheit" hervorbringt, dass der Künstler schwul gewesen ist, was in der bürgerlichen Geschichtsschreibung ja gerne weg gelogen wird.
Mittlerweile wird „Culture Jamming“ sogar von eher konservativen Kreisen und in der Werbung benutzt wie z.B. die zeitweise offizielle Umbenennung von Wolfsburg in Golfsburg. Diese Spannung wollten wir in einem bürgerlichen Institut wie dem Lentos Kunstmuseum aufzeigen.
Nitewalkz: Woher kommt der Begriff "Culture Jamming"?
Raimar Stange: Der Begriff "Culture Jamming" wurde von der US-amerikanischen Avantgarde-Band Negativland geprägt. „Jamming“ bedeutet wörtlich eigentlich „Störgeräusche“. Man benutzt vorhandene Codes und resemantisiert diese mit relativ geringen Eingriffen. Meistens haben diese Codes etwas mit Ökonomie und Macht zu tun. Einfaches Beispiel: Man nimmt z.B. das Logo der Firma Shell und lässt einfach das "S" weg. Was bleibt ist "Hell", was u.a. auf die klimaverändernden Machenschaften der großen Ölkonzerne anspielen soll. Wieder wie bei Naomi Klein: Das „Jamming“ bringt eine "tiefere Wahrheit" zutage. Und das mit minimalstem Aufwand und großer Überzeugungskraft. „Culture Jamming“ in seiner Vulgärform wäre z.B. das Aufmalen von Hitler-Bärtchen auf Wahlplakate.
Nitewalkz: Springt zeitgenössische Kunst hier nicht einfach auf den Zug der Werbeästhetik auf?
Raimar Stange: Das glaube ich nicht. Zeitgenössische Kunst hat ja u.a. die Qualität, die Realität zu reflektieren und selbst Bertold Brecht hat gesagt, dass jede Kritik mit dem Einverstandensein anfängt. D.h. wenn ich zum Postkapitalismus reflektieren will, muss ich mich erstmal auf ihn einlassen. Ich muss erstmal verstehen was z.B. Warenästhetik oder Warenfetisch eigentlich heißt. Und das kann ich nicht tun, indem ich mich auf eine grüne Wiese setze, einen Joint rauche und in irgendwelche Hippie-Fantasien flüchte. Und bei dem Einlassen versuche ich dann, den vorgefundenen Mechanismus für mich zu nutzen und für einen Moment das Sagen zu haben. Was aber auch passieren kann ist, dass ich feststelle, dass es kein Draussen bzw. die autonome, eigene Formulierung nicht mehr gibt. Diese traurige Erkenntnis ist dann aber kein hippes Mitschwimmen sondern ein Stück Wahrheit das man gefunden hat. Die Punkgeschichten aus meiner Jugend konnte man nach zwei Monaten bei Karstadt kaufen und das ganze Hippie-Zeug ist schnell von der Plattenindustrie aufgekauft worden. Was übrigbleibt, ist innerhalb des Systems zu formulieren, zu reformulieren und zu versuchen das Ganze subversiv zu drehen.
Nitewalkz: Künstler wie 01.org oder Hans Bernhard distanzieren sich ganz deutlich von eindeutigen politischen Aussagen und Ideologien. Ist „Culture Jamming“ also nicht doch eine "reine" Kunstform?
Raimar Stange: Ich würde die strategischen Gründe die Künstler haben um sich als "autonome Subjekte" abzugrenzen nicht allzu ernst nehmen. Mich interessiert was die Künstler machen, was davon übrigbleibt und was dann zur Diskussion steht. Genausowenig wie Shell ein Copyright auf das Wort "Shell" hat - das Wort Muschel gibt es seit Tausenden Jahren - haben Künstler ein Copyright auf die Art und Weise wie wir ihre Arbeiten sehen. Wobei ich mich da auf dünnes Eis begebe. Natürlich ist es einerseits einfach zu sagen dass Copyright scheiße ist, eine bürgerliche Erfindung. Im Barock hat es das noch nicht gegeben, da gab es kein Subjekt, das Kopieren von Texten war genauso vollwertig wie das neue "Schaffen" von Texten. Anderseits lebe ich vom Schreiben und wenn alle meine Texte abgedruckt werden, ohne dass ich einen Pfennig dafür sehe, kann ich nicht überleben. Da habe ich einen Widerspruch in mir selber entdeckt, zwischen theoretischem Formulieren á la Tod des Autors, Roland Barthes etc. und dem Fakt dass ich ein Autor bin der Geld kriegen muss um Miete, Klamotten und Whisky zu zahlen. Diese Differenz zwischen Lebenspragmatik und theoretischem Anspruch ist mir erst während der Ausstellung so richtig klar geworden.
Nitewalkz: Ist Copyright nicht etwas selbstverständliches?
Raimar Stange: Festzustellen ist erstmal, das Copyright nicht vom Himmel gefallen ist, sondern eine Entwicklung darstellt, die mit der bürgerlichen Gesellschaft zusammengeht. Der Begriff Subjekt ist um ca. 1654 mit dem Besitz des eigenen Körpers definiert. Subjekte haben also von Anfang an etwas mit Besitz zu tun und von da aus geht es weiter mit der Idee: Weil ich meinen Körper habe, habe ich auch das Recht auf die Erzeugnisse meines Körpers, also z.B. das was ich schreibe. Daraus konnte so etwas wie Warenförmigkeit entstehen. Aber da es auch mal anders gedacht wurde ist es vielleicht auch wieder änderbar. Andererseits: Roland Barthes „Tod des Autors“ stimmt ja auch nur zum Teil. Natürlich kann man sagen, sämtliche sprachlichen Formulierungen ist im Netz der Sprache bereits drin und daher keine originäre Schöpfung. Aber um mal im Bild des Netzes zum bleiben: Trotzdem muss es zunächst einmal herausgeangelt werden und zusammengefügt werden, und da ist schon eine „menschliche Leistung“ vorhanden und diese muss auch bezahlt werden, sonst kann sie nicht erbracht werden. Die Frage ist eigentlich vielmehr ob Copyrights auch über den Tod der betreffenden Person hinaus durch Erben etc. weitergeführt werden sollten oder ob so etwas nur noch kontraproduktiv ist.
Nitewalkz: Würden Sie der These zustimmen, dass Werbetafeln eine Verschmutzung öffentlichen Raums darstellen?
Raimar Stange: Prinzipell schon. Dagegen halten würde ich allerdings, dass es auch einige wenige interessante Werbungen gibt. Wir „Intellektuellen“ nutzen dann auch diese wenige interessante Werbung um zu beweisen, dass wir ja gar nicht für die Trennung von „High“ und „Low“ Kultur sind. Aber im wesentlichen ist Werbung scheiße, das gebe ich sofort zu. Ein andere Einwand wäre auch, dass es die Möglichkeit gibt Werbung produktiv zu nutzen. Wenn es keine Werbetafeln gibt, gibt es auch kein „Culture Jamming“. Wir bestimmen ja im Endeffekt selber wie wir die Werbung lesen und für uns nutzen.
Nitewalkz: Ist „Culture Jamming“ im Museum richtig aufgehoben oder verpufft die subversive Wirkung dort?
Raimar Stange: Natürlich muss ich sofort zugeben das ein Museum ein spezieller Kontext ist und die Besucher sofort wissen, dass sie es nicht mit dem richtigen Leben zu tun haben. Aber der Überraschungseffekt bei z.B. dem „Shell“-Jamming ist ja auch relativ gering. Die Menschen wissen natürlich sofort, dass nicht „Shell“ selber dahintersteckt. Die Vortäuschung einer originären Sprechposition gelingt nur in einigen ganz wenigen Fällen, die dann aber natürlich Klasse sind. Es ist ja auch nicht so, dass „Culture Jamming“ eine Geheimwissenschaft ist. „No Logo!“ von Naomi Klein war ein Bestseller und da ist ein ganzes Kapitel über „Culture Jamming“ drin. Und eben weil es Ausstellungen wie unsere und Bücher wie „No Logo!“ gibt, gilt es „Culture Jamming“ und den nötigen Überraschungseffekt jedes mal neu zu erfinden.
Nitewalkz: Gelingt dem „Culture Jamming“ noch sinnvolle Kritik?
Raimar Stange: Jede Kritik an einer Gesellschaft hält ja gleichzeitig die Gesellschaft flexibel und vital. Wenn man an Fortschritt glaubt, was scheinbar alle tun, braucht man den Begriff der Kritik. Deswegen ist jede Kritik auch gleichzeitig affirmativ. Permanent nur Einverstanden sein würde diese Gesellschaft vielleicht sogar mehr zum Erlahmen bringen. Da gilt es einen Mittelweg zu finden.
Nitewalkz: Umberto Eco schrieb: „ In einer Welt voller Fälscher wird nicht die Macht zerstört, sondern höchstens ein Machthaber durch einen anderen ersetzt.“ Ist nicht am Ende wieder der finanzstärkste der Gewinner, weil er am besten fälschen kann?
Raimar Stange: Das wichtige an „Culture Jamming“ ist der Kontext der Entstehung oder der Fälschung. Jeder weiß, spätestens nach De Saussure, das jede sprachliche Äußerung erst ihren Sinn im Kontext erhält. „Culture Jamming“ ist im Kontext von Golfsburg eine neoliberale Strategie, im Kontext von Shell/Hell eher eine linke. Damit das Ganze mehr ist als nur „radical chic“, reicht es nicht zu „jammen“. Das Jam muß Teil einer Strategie sein, zusammen mit Demonstrationen, Diskussionsveranstaltungen und Aufklärungsarbeit. Erst dann unterscheidet sich das „Jamming“ von einer Nike-Kampagne, die auf einer ganz anderen Oberflächenebene operiert und Aufmerksamkeit mit einer ganz anderen Ausrichtung erzielen will. Wir hatten eine Arbeit von Silke Wagner in der Ausstellung, wo sie einen Lufthansa-Bus „gejammt“ hat und diesen Bus dann auch verschiedenen Gruppierungen wie z.B. „Kein Mensch ist Illegal!“ zur Verfügung gestellt hat. Das ästhetische Objekt „Bus“ war eingebettet in einen größeren Zusammenhang und dann fängt es an interessant zu werden.
Nitewalkz: Ist „Culture Jamming“ von den Situationisten beeinflusst?
Raimar Stange: Das ist mit Sicherheit eine Wurzel. Es gab da u.a. die Theorie des Détournement. Die Situationisten haben zum Beispiel bestehende Comics genommen und den Inhalt der Sprechblasen verändert. Auch das Bestreben der Situationisten aus dem Kunstbetrieb herauszukommen und sich als Kollektiv extrem politisch zu begreifen erinnert an „Culture Jamming“. Aber auch der Dadaismus und andere weiter zurückliegende Kunstrichtungen haben „Culture Jamming“ stark beeinflusst.
|