Ein Interview mit Paolo Pedercini von Molleindustria
Nitewalkz: Kannst du dich und deine Arbeit kurz vorstellen?
Paolo Pedercini: Ich bin ein Mitglied des Mailänder Programmiererkollektivs Molleindustria. Unser Ziel ist es, eine ernsthafte Diskussion über die politischen Implikationen von Videospielen zu starten. Wir programmieren verschiedene kleine, experimentelle Flash-Games um eine politische Botschaft zu verbreiten und Mainstream-Videospiele als kulturelle Ausdrucksform zu kritisieren.
Nitewalkz: Eure Arbeit wird oft als “gaming counterculture” bezeichnet. Was bedeutet das für dich?
Paolo Pedercini: Man kann es meinetwegen als “Gegenkultur” bezeichnen, aber ich mag es nicht, da unsere Arbeit nichts mit dem sog. „Underground“ zu tun hat. Wir wollen Mainstream sein und gleichzeitig einen alternativen Blickwinkel vermitteln. „Die Simpsons“ zum Beispiel sind ja auch keine Gegenkultur. Auch in unseren Spielen gibt es einige Themen und Inhalte, die man als Gegenkulturell bezeichen könnte, trotzdem sind sie Mainstream. Sehr gute Mainstream-Produkte!
Nitewalkz: Euer aktuellestes Werk ist das McDonalds-Videogame. Worum geht es da?
Paolo Pedercini: Das Spiel handelt nicht nur von McDonalds, sondern von der gesamten Fast-Food-Industrie. Es ist eine Simulation der versteckten Prozesse, die der Fast-Food-Industrie inhärent sind. Der Spieler muss die Firma leiten und zwischen einer Menge Möglichkeiten auswählen um die Herstellung der McDonalds-Produkte vom Weideland bis zu ihrem Markenimage zu kontrollieren. Unser Ziel war es, die Folgen aufzuzeigen, die die industrielle Produktion von Nahrung auf Umwelt und Gesellschaft hat.
Nitewalkz: Und was geschieht in dem Spiel?
Paolo Pedercini: Das Hauptziel des Spieles ist es, das Geheimnis des perfekten Produktionsprozesses zu finden. Das Spiel ist in vier Sektionen aufgeteilt: Die erste ist die agrikulturelle Sektion, wo der Spieler die Rinder für das Fleisch heranzüchten und agressiven Sojaanbau betreiben muss: die Hauptnahrung für die Rinder. Die zweite Sektion ist der Massentierstall, wo die Rinder mit dem Futter eingepfercht werden. Das Fast-Food-Restaurant ist die dritte Sektion. Hier werden die Mitarbeiter gemanaget, diszipliniert, bestraft oder eben gefeuert. Die letzte Sektion ist das Hauptquartier: die Marketing-Abteilung, die PR-Abteilung und die Direktorenversammlung. Hier werden Anzeigenkampagnen entworfen und Politiker oder Ernährungswissenschaftler bestochen.
Nitewalkz: Ist es möglich das Spiel zu spielen ohne zu schmutzigen Tricks zu greifen?
Paolo Pedercini: Nein, es ist fast unmöglich. Nur ein paar Leute schaffen es, in dem Spiel erfolgreich zu sein, und diese Leute sind gezwungen zu schmutzigen Mitteln zu greifen. So muss man Hormone und Industrieabfälle in das Tierfutter geben und genetisch manipuliertes Soja anbauen etc.
Nitewalkz: Warum habt ihr McDonalds und nicht Burger King gewählt? McDonalds steht oft im Mittelpunkt der Kritik und Burger King nie!
Paolo Pedercini: Ich denke die Leute sind klug genug zu erkennen, dass das Spiel keine ausschliessliche Kritik an McDonalds darstellt. McDonalds ist vielmehr ein Symbol für die gesamte Fast-Food- und Fleischindustrie. Wir haben die Marke McDonalds lediglich benutzt um zu zeigen, dass das Spiel eine Entsprechung in der realen Welt hat, sich auf reale Ereignisse in unserem Alltagsleben bezieht.
Nitewalkz: Ein anderes Spiel von Molleindustria heist Tuboflex. Worum geht es dabei?
Paolo Pedercini: Tuboflex handelt von der zunehmenden Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit. In einer nahen Zukunft hat eine grosse Firma eine “staffing solution” entwickelt: Ein komplexes Röhrensystem um Arbeitskräfte in Echtzeit zu lokalisieren und einzusetzen. Nun muss der Spieler diesen Arbeiter steuern, der ständig von den Röhren eingesaugt und wieder ausgespuckt wird. Das Spielprinzip besteht darin, zu versuchen, den Arbeiter in dieser ausser Kontrolle geratenen Arbeitswelt am Leben zu halten, was ziemlich nah an der Alltagsrealität der prekär Beschäftigten ist. Versagt der Spieler, findet sich der Arbeiter auf der schwarzen Liste wieder und kann Akkordeon auf der Strasse spielen.
Nitewalkz: Ist es euer Ziel die Menschen durch die Computerspiele unterbewusst zu beeinflussen?
Paolo Pedercini: Oh nein, absolut nicht. Ich denke diese ganze Diskussion über die unterbewusste Beeinflussung ist ein Hype der Neunziger, denn in gewisser Hinsicht ist ja alles unterbewusst. Es geht hier nicht darum versteckte Bilder in einen Film reinzuschneiden. Alle Botschaften in unseren Spielen sind klar politisch, da wir die Annahme, normale, nicht explizit politische Spiele seien unschuldig, demystifizieren wollen. Fast alle Computerspiele sind politisch, denn sie befassen sich mit kulturellen oder ideologischen Gegebenheiten.
Nitewalkz: Erreicht ihr denn ein unaufgeklärtes Publikum mit euren Spielen? Oder sind sie ein Vergnügen für Insider?
Paolo Pedercini: Im Falle des McDonalds-Videogame, gibt es natürlich viele Spieler die McDonalds sowieso nicht mögen, aber auf eine eher unreflektierte Weise. Nur wenige von ihnen haben gute Argumente gegen McDonalds und das Problem wird reduziert auf die Tatsache, dass junk food ungesund ist. Aber es gibt wesentlich grössere Probleme und wir hoffen einen breiteren Einblick in gewisse Geschäftspraktiken zu geben. Was die anderen Spiele betrifft, so bekommen wir viel Feedback von Menschen die absolute nicht politisch engagiert sind. Wir machen keine unterhaltsamen Spiele für radikale Menschen, sondern radikale Spiele für unterhaltsame Menschen.
Nitewalkz: Benutzt ihr eine Public License um eure Spiele zu verbreiten?
Paolo Pedercini: Wir benutzen eine Creative Common License, weil die Spiele alle in Flash programmiert sind und es somit keinen Sinn macht Open Source zu benutzen. Nur ein paar Spiele sind Open Source, so dass man modifizieren kann. Aber natürlich dürfen alle Spiele ungehemmt kopiert und über das Internet verbreitet werden.
Nitewalkz: Was sind eure Hauptthemen wenn ihr Spiele programmiert? Gender, Rassismus, Globalisierung, moderner Arbeitsmarkt?
Paolo Pedercini: Das hängt immer davon ab, ob wir ein gutes Thema mit einem guten gameplay verbinden können. Wir wollten z.B. immer ein Spiel über Immigration machen, haben aber noch kein sinnvolles Konzept gefunden.
Nitewalkz: Ist eure Arbeit von der Situationistischen Internationale beeinflusst?
Paolo Pedercini: Ich denke die S.I. war ein wichtiger Meilenstein, aber sie wird von den Theoretikern der Gegenkultur oft überbewertet. Sie waren die ersten die Konzepte auf dem Gebiet des Culture Jamming entwickelt haben, aber es gibt da noch eine Menge anderer Einflüsse... Aber: ja klar! (grinst) Ich bin sehr beeinflusst von Guy Debord!
Nitewalkz: Euer Logo erinnert mich an Sozialistischen Realismus oder die sowjetische Zeichenproduktion…
Paolo Pedercini: Ja, der Name Molleindustria heist ja auch soviel wie “weiche Industrie”. Es ist ein recht simple Dekontextualisierung oder Transformierung einiger sowjetischer Einflüsse. Die Idee hinter unserem animierten Header war, eine Metapher für das zu entwicklen, was wir tun. Wir leben in der Informationsära und es gibt kaum noch Schwerindustrie in der westlichen Gesellschaft. Diese Tatsachen wollten wir in einem niedlichen Stil visualisieren.
Nitewalkz: Was ist Culture Jamming?
Paolo Pedercini: Alle Aktivitäten die mit der Rekombination von Symbolen, Medien und Kultur operieren. In den Neunzigern wurde Culture Jamming sehr stark zur Subversion von Werbung und Markenkultur benutzt. Heutzutage hat die Werbeindustrie durch Techniken wie Guerilla Marketing ihre Grenzen ausserhalb des traditionellen Instrumentariums verschoben. Culture Jamming muss dieser Evolution folgen. Die neuen Arbeitsfelder heissen: Videospiele, Product Placement und Street Marketing. Natürlich gibt es Widersprüche in unsere Arbeit, aber Culture Jamming heisst auf diesen Widersprüchen zu surfen. Wir leben nunmal innerhalb des Marktes und es gibt kein ausserhalb…
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